PHARMAZEUTISCHE MEDIZIN
 
                                    

Polypharmazie


Gleichzeitige Verordnung mehrerer

Arzneimittel

Polypharmazie (mehr als  vier  Wirkstoffe) führt zur Zunahme von Arzneimittelinteraktionen, unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW), Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes und vermehrter stationärer Behandlungen. Arzneimittelinteraktionen sind Wechselwirkungen von Arzneimitteln, die durch inhibitorische oder induktive Effekte auf das Cytochrom P450 (CYP) zu toxischer Wirkung oder Verminderung des therapeutischen Effekts führen können. UAW tragen zu höheren Kosten im Gesundheitswesen bei. Sie sind für 5–10 % der Krankenhausaufnahmen verantwortlich.

Mit zunehmender Zahl der Medikamente steigt das Risiko für Arzneimittelinteraktionen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen an. Die veränderte Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Alter erhöhen ebenfalls das Risiko. Bei älteren Patienten besteht die erhöhte Gefahr stationärer Wiederaufnahme wegen schwerer UAW. Medikamente, die im Alter häufig UAW begünstigen, sind Antihypertensiva (36 %), nichtsteroidale Analgetika/Antiphlogistika (17,8 %), Insuline (13,9 %), Antikoagulanzien (33,3 %) und Psychopharmaka (24,8 %).

Die starre und unkritische Anwendung von Leitlinien für die verschiedenen Grunderkrankungen erhöht das Polypharmazierisiko und die Möglichkeit von potenziell gefährlichen Arzneimittelinteraktionen und UAW deutlich. Nichtangepasste Dosierung durch Unkenntnis von Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Arzneiwirkstoffen im Alter ist häufig Ursache für Arzneimittelinteraktionen und UAW.
Oft lassen sich UAW nur schwer von Symptomen der Grunderkrankung oder von neuen Erkrankungen unterscheiden. UAW von Psychopharmaka können vor allem bei älteren Patienten zu Sturzgefahr durch Überdosierung oder Parkinsonoid; Delirien, Synkopen und kognitive Verschlechterung durch anticholinerge Nebenwirkungen; Bradykardie bei kardialen Nebenwirkungen oder Dekompensation eines Diabetes mellitus und das Auftreten von kardiovaskulären/zerebrovaskulären Ereignissen durch metabolische Nebenwirkungen führen.


Vermeidung von Interaktionen und

Polypharmazie

In der Pharmakotherapie älterer Patienten sind Kenntnisse über Abbauwege der Medikamente, Eiweißbindung sowie induktive und inhibitorische Effekte am Cytochrom P450 notwendig, um Arzneimittelinteraktionen und Polypharmazie zu vermeiden. Zunächst muss die Indikation eines Medikamentes (beispielsweise Protonenpumpen-Hemmer oder Statine) geprüft werden. Es sollte mit der niedrigsten Einstiegsdosis begonnen und einer längere Titrationszeit angestrebt werden („start low, go slow“). Medikamente mit kurzen Halbwertzeiten und hoher Bioverfügbarkeit müssen bevorzugt werden. Sie sollten keine starken Hemmer am  Cytochrom P450 sein.

Ferner sollten Substanzen gewählt werden, die keine anticholinergen Nebenwirkungen haben, wenig sedieren, geringes EPMS (extrapyramidalmotorische Störungen)-Risiko haben, keine QTc-Zeitverlängerung (Überschreiten der physiologischen intraventrikulären Erregungsdauer des Herzens) zeigen, wenig in die Orthostase eingreifen, große therapeutische Breite haben, gute Verträglichkeit mit Begleiterkrankungen, wenig metabolische Wirkung und sich möglichst nicht auf den Elektrolythaushalt auswirken.

Wegen anticholinerger und kardiotoxischer Nebenwirkung sollten trizyklische Antidepressiva (TZA) vermieden werden. Sollte tatsächlich ein TZA notwendig sein, ist Nortriptylin aufgrund des besseren Nebenwirkungsprofils (QTc-Zeit, Orthostase, Sedierung und anticholinerge Wirkung) zu bevorzugen. Aufgrund des inhibitorischen Einflusses auf das Cytochrom P450 (CYP)  sollten Paroxetin, Fluoxamin und Fluoxetin nicht angewendet und Ciprofloxacin, Erythromycin und Clarithromycin kritisch überdacht werden. Carbamazepin, Ginkgo biloba und Johanniskraut sind als potente Induktoren an zahlreichen Isoenzymen zu meiden. Wegen der Sedierung, des Abhängigkeitspotenzials und des depressiogenen Effekts im Alter sollten Benzodiazepine kritisch und nur kurzzeitig eingesetzt werden.

 
 
 
 
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